Ein altes Schiff auf einem großen See
Der
Bodensee mag einem groß erscheinen – im Vergleich mit dem Tanganjikasee in
Tansania ist er sehr klein. 673 Kilometer misst der längste See der Welt in der
Länge. Ein altes und marodes Schiff legt unermüdlich alle zwei Wochen die rund
700 Kilometer lange Strecke zwischen Kigoma in Tansania und Mpulungo in Sambia
zurück. „Für die Menschen dort ist die ‚Liemba' das einzige
Verkehrsmittel“, erklärt
Die Liemba soll generalüberholt
werden
Die
etwa 20 Mitglieder des Vereins Run Liemba möchten eine Generalüberholung des
Motorschiffes erreichen. Denn dieses wurde vor knapp hundert Jahren, 1913, auf
der Meyer-Werft in Papenburg an der Ems gebaut, und seinen langen Dienst auf dem
Tanganjikasee seit 1915 merkt man ihm an: „Es ist so ziemlich alles an dem
Schiff kaputt, was kaputt sein kann“, so Berg. Nur dem gekonnten Improvisieren
der Menschen vor Ort sei zu verdanken, dass es überhaupt noch fahre.
Als ein Produkt „deutscher Ingenieurs- und afrikanischer Improvisationskunst“ sieht der Historiker Berg, der auf Verkehrsgeschichte und besonders auf Schiffsverkehr spezialisiert ist, das Schiff. Obwohl es für koloniale Zwecke auf dem Tanganjikasee eingesetzt wurde, klingt er begeistert, wenn er erzählt: „Das Schiff wurde in Einzelteilen dorthin transportiert und zusammengebaut.“ Er betont aber: „Wir sind kein Oldtimerverein, sondern es geht uns um die Menschen vor Ort.“ Und diese brauchen die „Liemba“ zum Leben: 15 Mal hält sie auf jeder Fahrt an, um bis zu 600 Passagiere aufzunehmen. Von Ananas bis zu lebenden Tieren und Autos werden alle Arten von Waren auf ihr transportiert. Auch für Verwandten- oder Arztbesuche sind die Seeanwohner auf sie angewiesen: „Das einzige Krankenhaus liegt in Kigoma. Wer dorthin muss, kann nur die „Liemba“ nehmen“, beschreibt Berg. Ein funktionierendes Straßen- oder Schienennetz gibt es nicht entlang des Sees.
Seit 2010 bemüht sich Run Liemba um die Restaurierung des Schiffes, das der Verein als „Träger von Entwicklung und Kulturaustausch“ am Tanganjikasee sieht. Mehrere Ministerien und die deutsche Afrikastiftung möchten den Schiffsverkehr auf dem See ebenfalls fördern. Die Sanierung der „Liemba“, aber auch ein oder zwei neue Schiffe waren schon im Gespräch. Bei einem parlamentarischen Abend in Berlin im Februar sagte die Heidelberg Cement AG ihre finanzielle Unterstützung für die Sanierung zu, weitere Unternehmen möchten sich laut Berg beteiligen.
„Für die Firmen ist das Prestige“, meint Berg. „Deutsche Wertarbeit! Und nach 100 Jahren fährt das Schiff immer noch“. Bei der Instandsetzung könnten die Firmen außerdem ein duales Ausbildungsprojektes realisieren, um so an Arbeitskräfte vor Ort zu kommen, erzählt Berg. Verschiedene Berufe wie Elektriker und Metallarbeiter könnten Tansanier dort erlernen.
Falls alles klappt, soll die altersschwache „Liemba“ zum Hundertjährigen so funktionstüchtig sein wie die „Hohentwiel“. Denn diese ist mit ihrem Stapellauf 1913 fast gleich alt. Als 2009 vier Vertreter der tansanischen Betreibergesellschaft der „Liemba“, Marine Services Company Limited – MSCL, nach Deutschland kamen, unternahm Berg mit ihnen Ausflüge zu den Bodenseewerften und eine Fahrt auf dem Vorzeigeschiff des Bodensees. Bewundernd hätten sie damals geäußert: „Es sieht aus, als wäre es heute gebaut worden.“
Dampfer mit Schattenseiten
Zum
Vergleich: Das Bodenseeschiff „MS
Allgäu“ ist 60,50 Meter lang und 10,20 Meter breit. Ursprünglich war die
„Liemba“ ein Dampfschiff wie die fast gleichaltrige „Hohentwiel“, heute
ist sie ein Motorschiff.
Der
Name: Der ehemalige Name des Schiffes lautete „Graf Goetzen“, nach dem
Ostafrikaforscher und Gouverneur Gustav Adolf Graf von Götzen, dessen Truppen
1905 je nach Quellen 75 000 bis 300 000 Einheimische bei der Niederschlagung des
Maji-Maji-Aufstandes töteten. Erst die Briten benannten es 1927 in „Liemba“
um, den alten Namen der Einheimischen für den Tanganjikasee.
Die
Geschichte: Das damalige Kanonenboot „Graf Goetzen“ wurde 1913 auf
Befehl Kaiser Wilhelms II. auf der Meyer-Werft in Papenburg an der Ems gebaut,
um auf dem Tanganjikasee in Deutsch-Ostafrika der Stabilisierung der
Kolonialmacht zu dienen. Im ersten Weltkrieg wurde es gegen die Briten und
Belgier eingesetzt, zweimal versenkt und nach dem Krieg von den Briten wieder
gehoben. Seit der Unabhängigkeit des heutigen Tansania 1961 fährt die „Liemba“
unter einheimischer Führung. Betreibergesellschaft ist die Marine Services
Company Limited – MSCL.
Die Restaurierung: Der Verein Run Liemba (www.run-liemba.de) bemüht sich um die Sanierung der „Liemba“, tansanischer Partnerverein ist die Friends of Liemba Foundation (FLF). Die Bundesministerien für Entwicklung, Äußeres und Verkehr, die niedersächsische Staatskanzlei und die deutsche Afrikastiftung möchten den Schiffsverkehr auf dem Tanganjikasee fördern. Die Sanierung der „Liemba“ aus deutschen Mitteln, aber auch die Finanzierung ein oder zwei neuer Schiffe wurde erwogen. Die Heidelberg Cement AG gab bekannt, zur Sanierung 500 000 bis 2,5 Millionen Euro beizusteuern. Seit 2010 versuchte der Förderverein Graf Goetzen Rückholung e.V., das Schiff in Papenburg an der Ems zum Museum zu machen. Der Vereinsgründer Herman Josef Averdung, Ratsherr von Papenburg an der Ems, dessen Großvater am „Graf Goetzen“ mit baute, erwägt nun einen Nachbau.
(Julia Russ/Südkurier v. 18.10.12)