Ingo Obermann ist Schiffsführer auf dem Bodensee
Von der Werkbank ins Steuerhaus – SZ beleuchtet den Job des Schiffsführers
Kaum jemand verbringt so viel Zeit auf dem See wie Ingo Obermann aus Langenargen-Oberdorf. Der Grund: Er ist bei der „Weißen Flotte“ Kapitän – pardon: Schiffsführer, wie es in der Binnenschifffahrt heißt.
Ursprünglich hat der 45-Jährige eine Schreinerlehre gemacht, hat 1986 als Geselle bei den Bodenseeschiffsbetrieben in der Werft angefangen. Dann bekam er das Angebot, sich für den Schifffahrtbetrieb weiterbilden zu lassen – und nahm es an. Festmacher, Decksmann, Matrose, Motorenwart und Steuermann waren die Stationen, die er auf dem Schiff durchlaufen hat. Seit 2002 hat Ingo Obermann das Bodensee-Schifferpatent und darf selbst ein Schiff führen. Er trägt die Verantwortung für die Passagiere, die Belegschaft und das Schiff. In der Regel steht oder sitzt er im Steuerhaus ganz oben im Schiff. Unterstützt wird er von seinem Steuermann, der das Schiff lenkt und den Radar im Auge hat. „Auf dem See sind 56000 Schiffe und Boote zugelassen, da muss man aufpassen.“
Kurz vor einer Anlegestelle oder einem Hafen wechselt der Schiffsführer an die Nock, den Außenfahrstand, um den Anleger genau im Blick zu haben und das Schiff zwischen den Holz- oder Stahlpfählen „einzuparken“.
Während die Fahrgäste ein- und aussteigen, bleibt oft Zeit für ein kurzes Gespräch mit dem Hafenmeister. Das Schiff behält Ingo Obermann dabei aber immer genau im Blick, schließlich muss er jederzeit reagieren können, wenn etwas Außergewöhnliches passiert.
„Sicherheit geht vor“
Bei ruhigem Wetter ist das Anlegen einfach, bei Sturm wird es schwierig, die Anlegestelle zentimetergenau zu treffen. Wenn’s zu sehr stürmt oder der See zu unruhig ist, kommt es vor, dass an Landestellen wie Langenargen oder Kressbronn nicht angelegt werden kann, dann fahren die Schiffe nur noch die Häfen an. „Die Sicherheit geht vor“, sagt Ingo Obermann.
Die krasseste Situation, die er erlebt hat, war während des Sturms „Lothar“ am 26. Dezember 1999. Damals war Ingo Obermann als Steuermann auf der Fähre von Romanshorn nach Friedrichshafen unterwegs. Damals war der Sturm so stark, dass die Fähre kurz vor dem Hafen wieder kehrtmachen musste, weil eine Einfahrt unmöglich war. Stattdessen fuhr sie langsam gegen die hohen Wellen Richtung Konstanz um am Schweizer Ufer entlang nach 3,5 Stunden wieder in den Romanshorner Hafen einlaufen zu können.
Ein festes Schiff hat Ingo Obermann als BSB-Schiffsführer nicht. „Wir fahren alles.“ Mal steht er auf dem Katamaran, der Fähre zwischen Friedrichshafen und Romanshorn oder auf einem Schiff der „Weißen Flotte“ im Steuerhaus.
Feste Arbeitszeiten kennt Ingo Obermann ebenfalls nicht, jede Woche bekommt er einen anderen Dienstplan. Dem Oberdorfer gefällt’s: „Ich könnte mir nichts Anderes mehr vorstellen als Wechseldienst“, sagt er. Im Sommer kann es schon mal vorkommen, dass er zwölf Stunden am Tag arbeitet. Sechs-Tage-Wochen sind die Regel.
Viel Zeit für eigene Freizeitaktivitäten bleibt im Sommer nicht. Sofern es Arbeit und Familie zulassen, treibt der 45-Jährige Sport, fährt mit dem Rad von Oberdorf aus zur Arbeit, geht Joggen oder Schwimmen. „Das ist mein Ausgleich“, sagt er.
Ruhiger wird es für Ingo Obermann erst wieder, wenn die Sommersaison vorbei ist. „Dann arbeite ich oft nur drei Tage und habe dann drei Tage frei.“
Was er an seinem Beruf am meisten schätzt? „Dass ich mit Menschen unterwegs bin und jeder Tag anders ist“, sagt Obermann. „Natürlich auch das Panorama und den See - Wasser ist mein Element.“
Früher waren die Schiffsführer oft Quereinsteiger , die über ein Handwerk und die Arbeit in der Werft zum Fahrbetrieb kamen. Mittlerweile bildet die Bodenseeschifffahrtsbetriebe GmbH selbst aus. 13 Auszubildende befinden sich momentan in der dreijährigen Ausbildung zum Binnenschiffer. Um ein Bodenseeschiff führen zu können, braucht man das Bodensee-Schifferpatent. Um das machen zu dürfen, muss wiederum eine gewisse Anzahl an Fahrstunden vorgewiesen werden.
(Gunthild Schulte-Hoppe/Schwäbische Zeitung v. 15.08.13)